Im Gespräch | Dr Aisa O. Manlosa

food4future stellt die Wissenschaftlerinnen hinter den Projekten vor

09.08.2020
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Das Das Original-Interview in englischer Sprache können Sie hier lesen.

Dr. Aisa O. Manlosa ist Sozialwissenschaftlerin mit Expertise in Umweltwissenschaften, sozialen Systemen und Nachhaltigkeit. Am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) arbeitet sie am food4future-Projekt „Institutionelle Entwicklung für aquatische Lebensmittel – Kipppunkte entlang der Gradienten 'No Land' und 'No Trade'”.


Das Projekt befasst sich mit dem Wandel vom Fischfang zur Aquakultur in drei Gemeinden auf den Philippinen, die sich in der im Großraum Manila befinden. Diese Region ist historisch stark durch die Fischerei geprägt. In den 1990ern vollzog sich ein Wandel vom traditionellen Fischfang zur intensiven Aquakultur. Da kleinen Küstenfischer wenig bis kein Kapital für Investitionen zur Verfügung stehen, ist dieser Wandel hauptsächlich auf Bauern zurückzuführen, die neue Einkommensquellen erschließen mussten, wenn Salzwasserintrusion ihre Reisfelder für den Anbau unbrauchbar machte. Die Versorgung mit Fischfutter und Setzlingen (junge Fische für die Aquakultur) entwickelte sich parallel als Nebenindustrie zusammen mit den entstehenden Handelsbeziehungen. Etwa 20% der Fischexporte der Philippinen gehen nach Deutschland.
Neben der institutionellen Entwicklung in den Philippinen beschäftigt sich Aisa auch mit den Auswirkungen der food4future Extremszenarien „No Land“ und „No Trade“ auf die Aquakultur in Deutschland und den Kipppunkte dieser Szenarien.
Institutionen können sehr verschiedene Formen annehmen, außerdem werden sie je nach Kontext anders definiert. Aisa folgt der Definition der Institutionen als Regeln, die Interaktionen zwischen Menschen strukturieren. Dabei können Institutionen formell sein, wie etwa die Gesetze und Richtlinien eines Staates. Allerdings existieren auch unausgesprochene Regeln, die von einer Gruppe aufgrund einer gemeinsamen Vergangenheit und gemeinsamen Erfahrungen verstanden werden. In den Nachhaltigkeitswissenschaften setzt man inzwischen immer mehr auf Institutionen für eine positive ökologische und soziale Transformation. Richtlinien, Regeln, Gesetze und andere Institutionen beeinflussen das Verhalten der Menschen und die Konsequenzen dieses Verhaltens.

Dr. Manlosas philippinische Herkunft und ihre Sprachkenntnisse erleichtern ihr den Zugang zu den verschiedenen Interessensgruppen ihrer Studie. Wir haben mit ihr über ihre Feldforschung gesprochen, auf welche Herausforderungen und Grenzen sie gestoßen ist, und welche Auswirkungen COVID-19 auf ihre Arbeit hatte.

Wie können wir uns Ihre Feldforschung vorstellen?

Zentrum von Hagonoy.
Foto: A. O. Manlosa, ZMT

Meine Feldforschung ist in mehrere Phasen unterteilt: Vorbereitung, Datenerfassung und schließlich die Zusammenfassung und Analyse der Daten. Je nach Phase sieht meine Arbeit ganz anders aus. Am Anfang musste ich erst in Erfahrung bringen wer die relevanten Akteur*Innen sind und mit wem ich Kontakt aufnehmen muss. Also habe ich vor meiner Ankunft auf den Philippinen das Bureau of Fisheries and Aquatic Resources (BFAR) informiert, der größte staatliche Akteur, der für die Verwaltung und den Erhalt der Fischereien in den Philippinen verantwortlich ist. Die nationale Behörde leitete es an die regionale Behörde in Central Luzon weiter und ein Vertreter verschaffte mir dann den Zugang zu einer Kommune, die ihr eigenes Büro hatte.
Im ersten Interview ging es vor allem darum, die geeignetsten Gemeinden für mein Feldforschung auszuwählen und die wichtigsten Informationen zu den Fischereiverbänden zu sammeln: Wer sie sind, was sie tun, an wen ich mich wenden kann. Das erleichterte mir den Kontakt sowohl zu den lokalen Regierungsstellen, deren Genehmigung ich zur Durchführung einiger Aktivitäten meiner Feldforschung benötigte, als auch zu so genannten „Fisheries and Livelihood Development Technicians“, die zwischen der Regionalbehörde der BFAR und den Lokalverwaltungen vermitteln. Diese haben einen detaillierten Einblick über verschiedenen Akteur*Innen der Fischerei und der Aquakultur.
 

Eine Austernfarm in Paobong, Bulacan (Philippinen). Foto: A. O. Manlosa, ZMT

Die Sachverständigen begleiteten mich während der zwei Wochen. Ich hatte Bedenken, dass die Anwesenheit von Regierungsvertreter*Innen die Antworten meiner Interviewpartner*Innen beeinflusst. Mit der Zeit lernte ich dann selbst viele der Akteur*Innen kennen und entwickelte ein Gespür dafür, wohin ich gehen und an wen ich mich am besten wenden kann.
Zum Beispiel habe ich in der Gemeinde Hagonoy den Fischmarkt besucht. Ich blieb dann in diesen manchmal sehr lauten Märkten, sprach mit Inhaber*innen einer Consignación (eine Art Zwischenhändlergesellschaft) und schaute, wie sie ihre Geschäfte abwickelten. Ich führte dabei Interviews, die 20 Minuten, aber auch zwei oder mehr Stunden dauerten. Nach den Interviews auf dem Fischmarkt lief ich zu einer lokalen Regierungsstelle in der Nähe um Daten, die sie mir zur Verfügung stellten, zu erfassen oder die Angestellten dort zu interviewen. Darüber hinaus habe ich kleine Fischzüchter*Innen besucht, deren kleine Fischbecken im Hinterhof stehen, aber auch welche mit größeren Anlagen bis hin zu einem sehr großen Konglomerat, in dem der produzierte Fisch direkt auch verarbeitet wurde. Ich habe alle Interviews aufgenommen und Notizen gemacht, um sie anschließend zu transkribieren. Darauf basiere ich meine Analysen.
Neben den Interviews habe ich auch teilnehmende Beobachtungen durchgeführt. Das bedeutet etwa, zu den Fischzüchter*Innen zu gehen und sich dort an der Ernte zu beteiligen. Die teilnehmenden Beobachtungen haben manchmal richtig Spaß gemacht: Alle Arbeitsschritte vom frühen Morgen an zu begleiten, die Ernte der verschiedenen Fischarten und Garnelen, das Sortieren, bei dem die Nachbar*Innen mithalfen, bis zum Verkauf auf dem Fischmarkt. Ich begleitete auch die Fischern auf ihren Booten, installierte Reusen oder beobachtete den Handel auf dem Markt. Die Feldforschung war dabei sehr unterschiedlich in den verschiedenen Kommunen.

Glasfaserzuchtbecken in einem Hinterhof.
Foto: A. O. Manlosa, ZMT

War es schwer, immer eine professionelle Distanz zu bewahren? Auf welche anderen Herausforderungen sind Sie gestoßen?

Die Wahrung der professionellen Distanz ist eine Herausforderung und war manchmal nicht einfach für mich. Ich habe das Gefühl eine eigenartige Position einzunehmen, in der ich gleichzeitig Insiderin und Outsiderin bin. Das kommt vor allem daher, dass ich mich über das Geschehen auf den Philippinen auf dem Laufenden halte, obwohl meine Arbeit in der Vergangenheit hauptsächlich auf Äthiopien und den afrikanischen Kontext fokussiert war. Rückblickend denke ich, dass die Zeit im Ausland einen positiven Einfluss hatte, da ich eine gewisse Distanz zu den Philippinen gewonnen habe und vieles, was ich in Äthiopien und auch in Deutschland gelernt habe, in meine Arbeit einfließt.
Schlussendlich ist es trotzdem ein bisschen schwierig, denn wenn ich mich mit Themen beschäftige, beschäftigen sie mich sowohl als Wissenschaftlerin, als auch als Filipina. Es gab Momente, in denen ich mich daran erinnern musste, zurückzutreten und eine beobachtende Rolle einzunehmen, statt emotional involviert zu sein und mich einzubringen.
Was mich wirklich fasziniert hat, war die Interaktion mit den Menschen, und wie sehr sich Denkweisen voneinander unterscheiden. Als eine Wissenschaftlerin werde ich bei meiner Arbeit von meinen eigenen Fragestellungen geleitet, die meine Interessen widerspiegeln – in diesem Fall, intentioneller Wandel. Aber nicht alle, die ich treffe, teilen dieses Interesse: die Menschen interessieren sich zum Beispiel, was mit ihren Fischen passiert und wie viel Geld sie mit ihnen verdienen können. Oder wie man Wasserverschmutzung verhindert, damit es ihren Fischen gut geht. Ich muss auf das Interesse der Menschen eingehen, aber gleichzeitig meine Forschungsfragen beantworten und beides irgendwie verknüpfen. Die Leute fragten mich immer: 'Was habe ich von deiner Forschung?' oder 'Wie kann ich davon profitieren?'. Das sind keine Fragen, die ich einfach beantworten kann, denn ich will keine falschen Versprechungen machen. Man muss kommunizieren und diese Verknüpfungen herstellen, um verstanden zu werden, und um sicherzustellen, dass die Forschung einen positiven Beitrag für das Leben der Menschen, mit denen ich arbeite, leistet.

Milchfisch ist der in den Philippinen am weitesten verbreitete Fisch, der für die Aquakultur eingesetzt wird.
Foto: A. O. Manlosa, ZMT

Welcher Moment Ihrer bisherigen Forschungsarbeit ist Ihnen am meisten im Gedächtnis geblieben?

Ein Ereignis meiner Arbeit in Äthiopien habe ich noch sehr gut in Erinnerung. Während der Forschungsaufenthalte gibt es einfache und schwierige Tage. Dieser war ein schwieriger. Wir sollten eigentlich nach Hause fahren, aber das ging aufgrund des starken Regens und der geblockten Straßen nicht. Am Ende blieben wir die Nacht in einem Hotel der Region. Wir hatten nicht genug Kleidung dabei. Wir waren nass und froren. Trotzdem konnten wir am nächsten Tag unsere letzte Befragung abschließen. Ich saß auf dem Rücksitz des Autos und konnte die Straße hinter uns sehen. Als wir endlich das Dorf verlassen hatten, war ich überwältigt von dem Gedanken, dass ich diesen Ort vielleicht nie wieder sehen würde. Mir wurde klar, dass, sollte ich zurückkehren, in der Zwischenzeit die Menschen ihr Leben wie gewohnt weiterführen würden. Dass Dinge passieren könnten, die außerhalb unserer Kontrolle standen, und was auch immer unsere Forschungsergebnisse sein sollten, sie keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Leben der Menschen an diesem abgelegenen Ort haben würden.
Es zeigte mir die Grenzen der Forschung auf: wir müssen mehr daran arbeiten, unsere Forschung mit dem, was tatsächlich vor Ort geschieht, zu verbinden, und einen positiven Nutzen für die Menschen zu schaffen. Nach meiner Arbeit in den Philippinen habe ich das Bedürfnis, mich mehr an Diskursen in Deutschland aber auch in den Philippinen zu beteiligen und zu diskutieren, welchen Nutzen wir aus unserer Forschung ziehen können.

Ihr Rückflug wurde wegen der COVID-19-Pandemie mehrmals gestrichen - ihre Feldarbeit endete schon Ende März. Haben die Auswirkungen der Pandemie Ihre Arbeit beeinträchtigt?

Ich glaube, da hatte ich wirklich Glück, wenn ich das Wort Glück in diesem Zusammenhang verwenden darf. Ende Februar war ich bereits nach Manila umgezogen und interviewte Stakeholder eines großen Aquakulturunternehmens. Mir fehlten noch etwa drei bis fünf Interviews in der Forschungsregion, die ich dann telefonisch durchgeführt habe. Glücklicherweise kannte ich einige der Interviewpartner*innen aus vorherigen Gesprächen. Bei den Interviews handelte es sich um Folgegespräche zur Klärung einiger Daten, so dass keine nennenswerten Beeinträchtigungen entstanden. Ich ging dann direkt zur Transkription und Analyse über. Dafür benötigt man lediglich einen Schreibtisch und kommt auch ohne Internet zurecht.

Marikulturanlage in den Philippinen.
Foto: A. Schlüter, ZMT

Es gibt die Hoffnung, dass die COVID-19-Pandiemie einen Impuls für den Wandel zu einer nachhaltigen Agrarwirtschaft geben könnte. Glauben Sie, dass die Pandemie das transformative Potenzial hat, eine nachhaltigere Fischproduktion zu fördern?

Ich denke, dass die aktuelle Situation in vielerlei Hinsicht eine Gelegenheit für einen nachhaltigen Neustart bietet. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob es sich dabei um eine Transformation im großen Umfang handelt. Ich denke jedoch, dass die Pandemie zu Veränderungen führen wird, die schließlich langfristig transformativ sein können. Was jedoch die Aquakultur betrifft, so halte ich größere Veränderungen im Moment für unwahrscheinlich – vor allem, weil viele der großen und leistungsfähigen Aquakulturakteure in der Lage sind, die Dinge so zu belassen, wie sie sind. Momentan sind Futtermittel in ausreichender Menge verfügbar und für größere Akteure mit genügend finanziellem Puffer nicht zu teuer. Sie brauchen also nicht auf das nachhaltigere Moos als Futtermittel zurückzugreifen und können ihre gewohnte Arbeitsweise beibehalten.
Auf kommunaler Ebene scheint es mir, dass die Kleinproduzent*Innen in der Aquakultur Probleme mit der Beschaffung von Setzlingen und dem Verkauf der Fische zu einem guten Preis bekommen, während man im traditionellen Fischfang davon weniger betroffen ist, da diese wenig inputabhängig ist. Die Menschen können ihre Nahrung lokal und über den Fischfang aus dem Meer abdecken. Dies könnte dessen Bedeutung wieder erhöhen und den Trend zur Aquakultur umkehren. Aber das ist nur eine Vermutung und nicht durch erhobene Daten bestätigt.

Glauben Sie, dass die Pandemie große Auswirkungen auf die Aquakultur auf den Philippinen haben wird?

Ich habe einige Fischzüchter*Innen kontaktiert, mit denen ich während meiner Arbeit gesprochen habe. Die meisten Probleme im Zusammenhang mit der Pandemie ergeben sich aus dem drastischen Preisrückgang, der durch die Einschränkungen in Mobilität und Export ausgelöst wurde. Die Menschen haben wegen der Kontaktvermeidungsmaßnahmen keinen Zugang zu den Fischverarbeitungsanlagen. Außerdem fiel die Pandemie mit einem Fischsterben in der Region zusammen. Dies geschieht gewöhnlich um diese Zeit des Jahres, im April und Mai. Das sind die trockensten und heißesten Monate auf den Philippinen und es kommt nur wenig Süßwasser von flussaufwärts. Verschiedene Faktoren kamen hier zusammen: Als das Fischsterben, wurde es aufgrund von Transportproblemen schwierig, Setzlinge aus Indonesien zu importieren. Inzwischen haben sie es geschafft, ihre Teiche wieder aufzufüllen, aber wir sind nicht sicher, welche langfristigen Auswirkungen das haben wird.
Abgesehen davon haben wir ein Abstract bei „Maritime Studies“ für eine Sonderausgabe mit dem Titel "Social Imaginations of COVID-19 in Marine Ecosystems" eingereicht. Wir würden die Untersuchungen zu dieser Thematik gerne ausweiten und weitere Interviews durchführen um Fischzüchter*Innen zu befragen, mit welchen Auswirkungen sie aufgrund der Pandemie konfrontiert waren.

Vielen Dank für das Gespräch.

(Redaktion: A. Neumann, J. Vogt, Übersetzung: S. Lalee, J. Vogt, IGZ)