Sandkästen für die Ernährung der Zukunft
food4future in der Lebensmittel Zeitung
13.11.2025
In einem Beitrag der Lebensmittel Zeitung (Ausgabe 44/2025) von Gerrit-Milena Falker erläuterten Prof. Dr. Monika Schreiner (Koordinatorin f4f) und Jette Berend (Projektmanagerin f4f), wie das Berliner Future Food Living Lab als Reallabor neue Wege in der Lebensmittelinnovation eröffnet. Der Artikel beleuchtet das Konzept der “Regulatory Sandboxes” aus einer rechtlichen Perspektive und thematisiert regulatorische Hürden der EU-Novel-Food-Verordnung und die politische Debatte um Experimentierklauseln, die Tests künftig erleichtern sollen. Frau Schreiner und Frau Berend betonen, dass Orte wie das Future Food Living Lab entscheidend sind, um wissenschaftliche Erkenntnisse, rechtliche Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Dialog miteinander zu verbinden.
Der vollständige Artikel von Gerrit-Milena Falker aus der Lebensmittel Zeitung ist unten als PDF verfügbar.
Innovation ermöglichen, Verantwortung wahren
Mit dem im Mai 2025 verabschiedeten Reallabore-Gesetz schafft die Bundesregierung erstmals einen rechtlichen Rahmen für sogenannte Experimentierklauseln – also für kontrollierte Ausnahmen, die Forschung und Unternehmen das Testen neuer Ansätze erleichtern sollen. Gleichzeitig wächst der Druck, nachhaltige Alternativen zu entwickeln: Klimawandel, Ressourcenknappheit und Ernährungssicherheit verlangen nach neuen Produktionsformen. Reallabore wie das Future Food Living Lab bieten hier einen entscheidenden Vorteil: Sie schaffen Räume, in denen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam erproben können, wie Ernährungssysteme nachhaltiger werden. So entsteht nicht nur neues Wissen, sondern auch Vertrauen in die Technologien und Lebensmittel von morgen.
Zugleich sind regulatorische Bedingungen gerade in dem sensiblen Bereich der Ernährung von zentraler Bedeutung. Es geht um Verbraucher*innenschutz, Lebensmittelsicherheit und Vertrauen. Reallabore sind keine rechtsfreien Räume, sondern ermöglichen kontrolliertes Experimentieren unter wissenschaftlicher Begleitung und behördlicher Aufsicht.
Was sind Regulatory Sandboxes?
Während der Begriff Regulatory Sandbox ursprünglich aus der Finanzwirtschaft stammt, hat dieser heute Einzug in alle gesellschaftlichen Bereiche gefunden. Dabei bezieht sich der Begriff auf rechtlich abgesteckte Erprobungsräume, in denen neue Technologien oder Verfahren unter realen Bedingungen getestet werden können. Rechtlich ermöglichen Sandboxes die Möglichkeit, Innovation kontrolliert und zeitlich befristet zu erproben. Sie wirken wie eine Art Zwischenraum zwischen Forschung und Markt. Das Reallabore-Gesetz (Mai 2025) greift diese Idee erstmals systematisch und ressortübergreifend auf und erlaubt Experimentierklauseln, also zeitlich befristete Ausnahmen von bestimmten Vorschriften, um Innovationen zu testen. Gesellschaftlich sind Reallabore ebenso relevant: Sie ermöglichen es, Forschung erlebbar zu machen, schaffen einen Ort der Zusammenkunft und Partizipation, fördern die Akzeptanz.
Relevanz für Novel Foods
Besonders im Bereich der sogenannten Novel Foods, also Lebensmitteln, die vor 1997 in der EU noch nicht in nennenswertem Umfang verzehrt wurden (z.B. Insekten, Algen, Zellkulturen, neue Pflanzenarten), stoßen Forschung und Start-ups schnell an regulatorische Grenzen. Verkostungen oder sensorische Tests sind untersagt, solange keine EU-Zulassung vorliegt. „Knusprige Quallenchips oder Pasta, die durch den Einsatz von Algenproteinen zu einer nachhaltigeren Ernährung innerhalb planetarer Grenzen beiträgt – das sind nur zwei Beispiele für mögliche Anwendungen unserer Forschung“, erläutert Prof. Dr. Monika Schreiner. Sie betont, dass viele dieser Organismen unter die EU-Novel-Food-Verordnung fallen und daher bislang nur eingeschränkt getestet oder verkostet werden dürfen. Hier könnten Experimentierklauseln helfen: Sie schaffen die Möglichkeit, neuartige Lebensmittel im kleinen Maßstab zu erproben, Verbraucher*innenreaktionen zu untersuchen und wertvolle Erkenntnisse für eine spätere Marktzulassung zu gewinnen – ohne dabei den Schutz der Verbraucher*innen zu gefährden.
Das Future Food Living Lab: Reallabor für Ernährung der Zukunft
In Kooperation mit der Forschungsgruppe Creative Media an der HTW Berlin steht das Future Food Living Lab, einer der zentralen Orte im Projekt food4future, an dem Zukunft erlebbar wird. Es ist ein Raum, in dem wissenschaftliche Experimente und gesellschaftliche Beteiligung zusammenfinden. Forschende entwickeln und testen hier Kultivierungsprototypen für alternative Nahrungsquellen wie Algen, Insekten, Quallen und Salzpflanzen und untersuchen, wie sich deren Anbau in urbane Lebensräume integrieren lässt. „Unsere Studierenden suchen im urbanen Raum nach ungenutzten Räumen oder Freiflächen, beispielsweise für Algen-Bioreaktoren oder Quallen-Tanks“, erklärt Jette Berend im Artikel „Sandkastenspiele“ der Lebensmittel Zeitung. So wird sichtbar, wie experimentelles Forschen und kreative Stadtplanung ineinandergreifen können.
Im Zentrum steht dabei nicht nur die technische Machbarkeit, sondern auch die gesellschaftliche Dimension: „Wir wollen mit unserem Reallabor einen Beitrag zur gesellschaftlichen und technologischen Transformation hin zu einer nachhaltigeren, gesünderen Ernährung leisten“, so Jette Berend weiter. Entsprechend versteht sich das Future Food Living Lab als offener Lernraum, der Partizipation fördert, und zwar durch Workshops, Dialogformate und Kooperationen mit Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft.
Warum Sandkästen wichtig bleiben
Für food4future sind Reallabore wie das Future Food Living Lab mehr als ein Forschungsinstrument. Sie sind ein Modell dafür, wie Innovation und Nachhaltigkeit gemeinsam gedacht werden können. Im geschützten Rahmen lassen sich neue Technologien, Produktionsmethoden und Ernährungsformen nicht nur technisch, sondern auch gesellschaftlich erproben. So wird sichtbar, welche Ideen tragfähig sind, wo Akzeptanz entsteht und wo politische oder rechtliche Anpassungen nötig sind.
Eine gesetzliche Öffnung für Experimentierklauseln könnte diesen Prozess entscheidend beschleunigen: Wenn Forschung und Unternehmen innovative Lebensmittel bereits in frühen Phasen unter realen Bedingungen testen dürfen, lassen sich Erkenntnisse schneller in die Praxis übertragen. Damit tragen Reallabore dazu bei, die Distanz zwischen wissenschaftlicher Entwicklung, regulatorischem System und gesellschaftlicher Anwendung zu verringern.
Darüber hinaus hat sich food4future zum Ziel gesetzt, den Austausch mit politischen Entscheidungsträger:innen auf regionaler, Landes- und Bundesebene zu stärken. Denn nur im Dialog mit der Politik lassen sich die aus der Forschung gewonnenen Erkenntnisse in geeignete Rahmenbedingungen übersetzen. Gleichzeitig können politische Akteur:innen die Impulse aus den Reallaboren aufgreifen, um innovative Ansätze schneller und wirkungsvoller umzusetzen.
Für food4future bedeutet dies, aus der Forschung heraus aktiv am Wandel mitzuwirken, um nachhaltige Ernährungssysteme schneller und sicherer im Dialog mit der Gesellschaft umzusetzen. So wie Kinder im Sandkasten spielerisch ausprobieren, was funktioniert, schafft food4future mit dem Reallabor an der HTW Berlin einen Raum, in dem Neues ausprobiert, verworfen und weiterentwickelt werden darf, damit aus Experimenten Zukunft werden kann.
Weiterführende Informationen:
- HTW Berlin: Nachhaltige Agrarsysteme für urbane Ernährung – food4future in der zweiten Förderphase (Pressemitteilung, 05.05.2025)
- Lebensmittel Zeitung: Sandkastenspiele – Reallabore für neuartige Lebensmittel (Artikel von Gerrit-Milena Falker, Ausgabe 44/2025, 31.10.2025)