Im Gespräch | Dr. Anna Fricke

Über die Herausforderungen des Projekts und warum wir Algen essen sollten

13.07.2020
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Dr. Anna Fricke ist Wissenschaftlerin am Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) im Programmbereich „Pflanzenqualität und Ernährungssicherheit“. Promoviert an der Universität Bremen und dem Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT), hat sie von Argentinien bis Spitzbergen viele internationale Stationen hinter sich, in denen Sie zu marinen Ökosystemen geforscht hat. Ihr Interesse galt dabei vor allem der Untersuchung der Biodiversität, Ökophysiologie und Nutzung von benthischen Algen. Im food4future-Projekt "Makroalgen und Halophyten" ist sie für die Kultivierung und Analyse von Makroalgen in geschlossenen Systemen für die Nahrungsmittelproduktion zuständig.

Wir sprachen mit Dr. Fricke über ihr Projekt, klärten warum wir Algen essen sollten und was eine Meeresbiologin so weit entfernt vom Meer in Brandenburg macht.


Wieso Algen - was hat Sie dazu bewogen, sich auf Algen zu spezialisieren?

Ich denke, das lag vor allem am Element Wasser. Ich wollte schon als Kind irgendetwas mit Wasser machen und wusste auch relativ schnell, dass es in Richtung Meeresbiologie gehen sollte. Allerdings lag das Interesse am Anfang meines Studiums noch eher bei den Meeressäugern. habe mich dann später auf Algen spezialisiert, als ich in einer tollen Arbeitsgruppe am Alfred-Wegener-Institut als Studentin gearbeitet habe. Die Menschen und das Umfeld haben mich sehr inspiriert und ich habe dann gemerkt: das passt.

Palmaria palmata ist eine essbare Rotalge. Der Lappentang wird auch "Speckalge" genannt. Die Grünalge Ulva lactuca findet man unter anderem in der Nordsee und wird auch Meersalat genannt - auch sie gehört zu den essbaren Makroalgen. Die Algen wurden über Meeresalgenland UG bezogen.
Foto: J. Vogt, IGZ

Was ist aus Ihrer Sicht das faszinierendste an marinen Makroalgen und welches Potential sehen Sie in der Algenproduktion?

Vor allem fasziniert mich ihre Vielfalt. Ich habe mich mit Algen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven auseinander gesetzt: Ökologie, Physiologie und jetzt, in food4future, auch in Hinblick auf die menschliche Ernährung und habe sowohl Grundlagenforschung als auch angewandte Forschung betrieben. Algen sind sehr alte Organismen. Sie hatten sehr viel Zeit sich anzupassen und haben dadurch eine extrem große Formen- und Reaktionsvielfalt entwickeln können, die auch durch ihre Interaktion mit anderen Organismen sehr divers ist.
Aufgrund ihrer Diversität ist das Potential, das in Algen steckt, sehr groß. Vor allem im asiatischen Raum werden sie schon seit Jahrhunderten angebaut und verwertet. Neue Extraktionstechnologien eröffnen auch neue Möglichkeiten für den Einsatz von Makroalgen. Sie werden also nicht nur als Ganzes verzehrt und sind gute Proteinquellen, sondern verfügen über verschiedene ernährungsphysiologisch interessante Makro- und Mikronährstoffe, wie beispielsweise sekundäre Pflanzenstoffe, Fettsäuren und Öle, die interessant für die verschiedensten Anwendungsgebiete sind. Carotinoide, die als Farbstoffe und Nahrungsergänzungsmittel Verwendung finden, Phlorotannine als UV-Schutz in Sonnencremes, Fucoidane, die entzündungshemmend wirken, das bekannte Agar-Agar als vegane Alternative für Gelatine, oder ungesättigte Fettsäuren wie Omega-3, die einen essentiellen Beitrag zur gesunden Ernährung stellen, kann man aus Algen gewinnen. Ich denke, wir stehen da noch ziemlich am Anfang.

Makroalgen in Kultur in den Laboren des Leibniz-Instituts für Gemüse- und Zierpfllanzenbau (IGZ).
Foto: J. Vogt, IGZ

Bisher werden Algen hauptsächlich direkt im Meer produziert, in food4future sollen geschlossene Kultivierungssysteme entwickelt werden – welchen Vorteil bietet das?

Bisher ist die Offshore Kultivierung das Mittel der Wahl für die Biomasseproduktion mariner Makroalgen. Im Meer sind sowohl Platz als auch genügend Wasser reichlich vorhanden. Gerade für Arten der Gattungen Undaria1 oder Laminaria2 brauchen sehr viel Platz. Der Vorteil geschlossener Systeme ist vor allem darin zu sehen, dass man das Milieu steuern kann. Einerseits kann man so den Eintrag von Umweltschadstoffe wie Schwermetallen verhindern, indem man die Wasserqualität kontrolliert. Andererseits ist es möglich, durch Anpassung verschiedener Kultivierungsparameter – zum Beispiel Licht – gezielt Nährstoffe in den Algen anzureichern. Auch haben wir im geschlossenem System Kontrolle darüber, was in Co-Kultur wächst, so dass beispielsweise giftige Algenblüten verhindert und so das Produkt sicher kultiviert werden kann. Es gibt bereits einige Ansätze für künstliche Systeme, aber hier ist noch viel Arbeit offen.

Mikroskopaufnahmen der Rotalge Ceramium in verschiedenen Entwicklungsstadien.
Fotos: A. Fricke, IGZ

Ziel des Projekts ist es, die künstlichen Kultivierungssysteme für die Nahrungsmittelproduktion im urbanen Raum einzusetzen. Warum ist es sinnvoll, Makroalgen in Deutschland in Städten wie Berlin oder München zu produzieren, die nicht direkt an der Küste liegen und damit keinen direkten Zugang zum Meer haben?

In food4future erarbeiten auf Basis von zwei Extremszenarien Lösungen für die zukünftige Nahrungsmittelproduktion. In einem der Szenarien, „No Land“, gehen wir davon aus, dass eine traditionelle Agrarproduktion aufgrund des Klimawandels nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt möglich ist.  Durch Dürren kommt es zur Versalzung von Böden und Trinkwasserressourcen werden knapper. Daher benötigen wir Alternativen. Da wir auch davon ausgehen, dass die Urbanisierung weiter zunimmt – schon jetzt leben in Deutschland mehr Menschen in Städten als auf dem Land – wollen wir Transport- und Lieferketten durch eine stadtnahe, land-unabhängige Produktion kurz halten. Natürlich ist es naheliegend, marine Makroalgen mit Meerwasser zu versorgen. Das würde vor allem sinnvoll für Küstenstandorte sein. Aber auch im Inland gibt es viele Quellen für Salzwasser: natürliche Binnensalzquellen, aber auch aufbereitetes und gereinigtes Brauchwasser mit erhöhtem Salzgehalt ist denkbar, sodass lange Transportwege für das Wasser wegfallen.

Meersalat (Ulva lactuca) in Kultur.
Foto: A. Fricke, IGZ

Wie gehen Sie im Forschungsprojekt bei der Kultivierung mariner Makroalgen vor?

Wir beginnen mit der Artenauswahl, was nicht trivial ist. Nicht jede Makroalgenart ist für jede Umgebung geeignet. Darüber hinaus müssen wir berücksichtigen, dass die Ressourcen frei zugänglich sind – wir wollen ja langfristig, dass aus den Makroalgen auch Nahrungsmittel produziert werden. Material aus Kultursammlungen wird nur lizenziert, anderes vor allem im Ausland produziert. Und da stoßen wir an Probleme mit der Biodiversitätsrichtlinie, dem Nagoya Protokoll3, das verhindern soll, dass die Biodiversität anderer Länder ausgebeutet wird. Also konzentrieren wir uns hauptsächlich auf heimische Arten wie beispielsweise den Meersalat Ulva lactuca, den man in der Nordsee findet.
Nach der Auswahl muss das Feldmaterial im Labor in Kultur bringen und von der darauf befindlichen Flora und Fauna reinigen. Man bringt die Alge zum sporulieren, so dass man ausgehend von einer einzigen Zelle eine unialgale Kultur anziehen kann. Wenn man Pech hat, keimt die Alge, kann aber unter den Laborbedingungen nicht weiter wachsen.
Da Algen in der Natur zusammen mit anderen Organismen und Mikroorganismen wachsen und einige Bakterien sogar notwendig für die Morphogenese, also Form der Algen verantwortlich sind, kann man Algenkulturen nicht einfach sterilisieren.
Im Projekt haben wir jetzt verschiedene Algenarten in unialgaler Kultur und soweit sauber, dass wir weiter arbeiten können. Jetzt testen wir, ob sie sich für die Kultivierung in geschlossenen Systemen und in Co-Kultur eignen – neben bereits bekannten Arten haben wir auch Risiko-Arten gewählt, die bisher in künstlichen Systemen noch nicht untersucht wurden. Wir schauen nun, welche Inhaltstoffe vorhanden sind, und wie sich die Nährstoffzusammensetzung unter unterschiedlichen Bedingungen – beispielsweise durch Bestrahlung um UV-Licht – verändert bzw. wie wir die Zusammensetzung damit für die menschliche Ernährung optimieren können. Das analysieren wir unter anderem mit Hilfe von einer modernen analytischen Plattform. In den Laborversuchen untersuchen wir, welche Auslöser für eine Anreicherung bestimmter Inhaltsstoffe führen. Dabei konzentrieren wir uns unter anderem auf Pigmente, Proteine, Fettsäuren und weitere Metaboliten. Bisher hat man vielfach Algen-Freilandmaterial auf dessen chemische Zusammensetzung untersucht. Man kann unter Laborbedingungen bestimmte Inhaltstoffe nicht immer rekonstruieren, da nicht alle relevanten Umwelteinflüsse, die die Algen im Laufe ihres Lebenszyklus bis zur Probennahme erfahren, erfassbar sind. Daher untersuchen wir das jetzt systematisch unter Laborbedingungen.
Und dann stehen wir vor der Herausforderung, die ausgewählten Makroalgen mit den anderen food4future Organismen – Halophyten (IGZ), Medusen (ZMT) und Grillen (ATB) – in Co-Kultur zu bringen. Da ist es wichtig, einen Kompromiss für die Wachstumsparameter zu finden. Welche Salzkonzentrationen sind tolerierbar, welche Lichtverhältnisse? Co-Kulturen sind in Hinblick auf ihre Stabilität gegenüber Monokulturen im Vorteil und zukunftsweisend. In natürlichen Ökosystemen gibt es eine feine Balance zwischen den Arten. Die Schwierigkeit für künstliche Systeme ist es, die richtigen Partner für bestimmten Konditionen zu wählen, so dass sie nicht um die Ressourcen konkurrieren, sondern voneinander profitieren. Wir beginnen am IGZ schon mit den Algen und Halophyten und auch da muss sehr viel getestet werden. Letztendlich wollen wir ein nachhaltiges System etablieren, das energetisch sinnvoll ist und welches die Ressourcen Wasser und Nährstoffe möglichst optimal nutzt.

Ulva  und Palmaria in Kultur.
Foto: J. Vogt, IGZ

Sie haben vor food4future in Bremen am ZMT und davor hauptsächlich direkt oder zumindest relativ nah an der Küste gearbeitet. Wie ist es, als Meeresbiologin und Expertin für marine Makroalgen in einem Institut für Gemüse und Zierpflanzenbau in Brandenburg zu arbeiten?

Das ist vielleicht das Faszinierendste der letzten Monate. Ich war bereits an vielen Orten auf der Welt, aber diese Kombination ist für mich einmalig. Es ist eine Herausforderung und ich muss sagen, ich habe sie sehr gerne angenommen und bisher nicht bereut. So weit entfernt vom Meer fühle ich mich natürlich ein bisschen auf dem Trockenen. Aber andererseits habe ich jetzt so viel Zeit, direkt mit Algen zu arbeiten, wie schon seit langem nicht mehr. Ich bin eigentlich ständig auf Tuchfühlung mit ihnen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich so weit weg vom Meer so intensiv mit dem Thema auseinandersetzen darf, das mir so viel bedeutet. Bei meiner bisherigen Forschung bin ich immer irgendwann an eine Grenze gestoßen. Jetzt habe ich die Möglichkeit, wenn ich mit meiner Expertise nicht mehr weiterkomme, mich mit meinen Kolleg*innen, die aus ganz anderen Bereichen wie zum Beispiel der Lebensmittelchemie kommen, auszutauschen. Dann kann ich plötzlich Verknüpfungen herstellen und damit so viel mehr lernen, über meine Grenzen hinausgehen und mich entwickeln.

Dr. Fricke in Patagonien mit Macrocystis, die größte Braunalgenart.
Foto: A. Fricke, Privat.

Ihre Makroalgen sollen für die Nahrungsmittelproduktion kultiviert werden. Warum sollten wir Algen essen und glauben Sie, dass sie auch hier bald alltäglich werden?

Aufgrund ihrer Inhaltsstoffe – sie sind reich an Protein, ungesättigten Fettsäuren, und verschiedenen Sekundärmetaboliten – kann man mit Algen die Ernährung gesünder gestalten. Und auch ihre nachhaltige Produktion ist ein Argument für Algen. Letztendlich muss es natürlich schmecken und ich denke, Algen können einen Beitrag leisten, unsere Ernährung zu diversifizieren. Sie sind ein vielseitiges Gewürz und können genauso vielfältig verarbeitet werden: gekocht, frittiert, gebacken, gedörrt, eingelegt und, wer es mag, roh gegessen werden.
Algen bzw. ihre Inhaltsstoffe sind in unserem Alltag längst Normalität – man findet sie schon heute in vielen Produkten, sowohl in Nahrungsmitteln als auch Kosmetika und pharmakologischen Präparaten. Sie sind aber nicht immer als solche zu erkennen, da sie früher eher negativ konnotiert waren.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Wir haben die Gelegenheit genutzt, zusammen mit Dr. Fricke unter anderem ein beliebtes Street Food-Rezept aus Uruguay, Buñuelos de Algas, nachzukochen. Das Rezept können Sie hier downloaden.

Das Gespräch führte J. Vogt, IGZ

 

1 Braunalgen, zu denen u. a. Undaria pinnatifida, auch Wakame genannt, gehört.

2 Braunalgengattung, deren Arten große Tangwälder bilden, z. B. Macrocystis (Riesentang). Die Algenart ist wirtschaftlich bedeutsam für die Gewinnung von Alginaten, die als Verdickungs- und Geliermittel eingesetzt werden.

3 Das Nagoya-Protokoll (UN-Biodiversitätskonvention, 2010) liefert den rechtlichen Rahmen für den Zugang zu genetischen Ressourcen und gerechten Vorteilsausgleich zwischen den Ursprungsländen genetischer Ressourcen und den Länder, welche die genetischen Ressourcen nutzen. So soll Biopiraterie vermieden werden.