Im Gespräch | Myriam Preiss

Die Wirtschaftswissenschaftlerin und Zukunftsforscherin über Partizipation in der Forschung und warum Wissenschaft und Öffentlichkeit voneinander lernen können

17.12.2020
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Myriam Preiss ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur für Innovationsmanagement der Freien Universität Berlin. Die studierte Diplomkauffrau für Management und Technologie arbeitet nach ihrem Master im Studiengang Zukunftsforschung an ihrer Dissertation im Rahmen von food4future. Im Projekt „Partizipation von Öffentlichkeit in Forschungsvorhaben mit verschiedenen Zeithorizonten“ untersucht sie die Umsetzung und Auswirkungen, die die Teilhabe anderer Gruppen an Forschung und Wissenschaft haben. Sie beschäftigt sich an der Schnittstelle zwischen Zukunftsforschung und Innovationsmanagement mit der Frage, wann und wie der Austausch mit der Öffentlichkeit sich auf ein Forschungsprojekt mit langem Zeithorizont auswirkt.
 

Was versteht man unter Partizipation und was wollen Sie in Ihrem Forschungsprojekt erreichen?

Partizipation heißt Teilhabe, d. h. teilhaben können an Prozessen. In unserem Fall ist das die Teilhabe an Forschung. Eine zentrale Grundlage, auf der die Partizipationsforschung heute zu einem Großteil beruht, ist das Stufenmodell der Partizipation von Sherry Arnstein. Man unterscheidet die Stufen mit steigendem Grad der Teilhabe bis hin zu „wir arbeiten gleichberechtigt gemeinsam an einer Sache“ am oberen Ende.
Insgesamt verstehe ich Partizipation als etwas Positives, selbst dann, wenn sie eher am unteren Ende der Leiter anzusiedeln ist. Wichtig dabei ist, dass keine falschen Erwartungen bei den Partizipierenden geweckt  und klar kommuniziert, wie man mit deren Input umgeht.
Ziel meiner Forschung ist es, ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, wie man Öffentlichkeit in Forschungsvorhaben einbeziehen kann. Die Öffentlichkeit kann einerseits eine Fachöffentlichkeit sein, andererseits eine breite, zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit. Gerade beim Thema Food, also Nahrung und Nahrungsmittelproduktion, ist diese genauso betroffen und weiß in der Regel auch genauso viel wie Expert*innen, da die Menschen ihre eigenen Ernährungsgewohnheiten und -vorstellungen selbst vielleicht am besten kennen.  Ich untersuche also, welche Voraussetzungen für gelungene Partizipatin notwendig sind und wie das Ergebnis der Beteiligung dieser Öffentlichkeiten seitens Forscher*innen aufgenommen wird.

Wie sieht die Zukunft der urbanen Nahrungsmittelproduktion in der food4future-Vision aus? Im Mitmach-Experiment erhalten die Teilnehmenden einen Einblick in die Forschungsthemen von food4future.
Illustration: headland für das food4future-Partizipationsprojekt/FU Berlin

Wo nutzt man Partizipation in Forschung und Wissenschaft bereits erfolgreich?

Vor allem in zwei Bereichen der Forschung funktioniert Partizipation gut und wird viel gemacht. Zum einen bezieht man in der Medizin Patient*innen mit ein. Dort wird Teilhabe verstärkt eingesetzt und auch die Ergebnisse daraus sind vielversprechend. Das zweite Beispiel ist die Einbeziehung von An- und Bewohnern in die Stadtplanungsforschung. Hier bindet man die Menschen in den Forschungsprozess mit ein, so dass die Entscheidungen nicht von oben herab gefällt werden, sondern eine breite Masse in den Entscheidungsprozess über die Gestaltung von Orten beteiligt wird, um herauszufinden, wie man diese für die Menschen zu verbessern kann. Menschenzentriert arbeiten – das ist auch der Ansatz, den wir im food4future-Projekt verfolgen.

Wie genau gehen Sie also in Ihrem Projekt vor?

Eine Hälfte meines Projekts beschäftigt sich mit der Partizipation einer breiten Öffentlichkeit in Forschungsvorhaben. Dafür haben wir ein Partizipationstool entwickelt. Zunächst wurde dafür das gesamte food4future-Forschungsvorhaben heruntergebrochen in einzelne Einheiten. Immer vor dem Hintergrund der Frage: Was eignet sich überhaupt dazu, mit einer breiten Öffentlichkeit weiter entwickelt zu werden? Die Einheiten wurden dann in allgemein verständliche Sprache „übersetzt“, textlich und visuell aufbereitet. Anschließend wurde die Partizipationsplattform programmiert. Aktuell sind wir in der Phase, in der wir an die Öffentlichkeit gehen und das Mitmachexperiment in der Öffentlichkeit bekannt machen, um Teilnehmende zu gewinnen. Im nächsten Schritt werden die im Mitmachexperiment erhobenen Daten ausgewertet und aufbereitet, um sie anschließend wieder in das Forschungskonsortium reinzuspielen. Damit wollen wir die Fragen beantworten: was passiert weiter mit den Partizipationsinhalten und wie werden die Daten im Konsortium aufgenommen? Dies wird wiederum dokumentiert und analysiert.
Der zweite Teil meines Projektes befasst sich mit Partizipation von Fachöffentlichkeit. Hier untersuchen wir, wie der Input, den das food4future-Konsortium vom wissenschaftlichen Beirat erhält, aufgenommen wird. Der Beirat besteht aus Expert*innen aus Wissenschaft und Wirtschaft, die das Projekt mit Rat und Anregungen begleiten.

Wie stellen Sie sicher, dass möglichst alle gesellschaftlichen Gruppen in Ihrem Partizipationstool, dem food4future-Mitmach-Experiment, mitmachen – wie kann man auch so genannte „wissenschaftsfernen Gruppen“ einbeziehen?

Natürlich hat man in der Partizipationsforschung genau diese Thematik erkannt: es macht in der Regel kein repräsentativer Querschnitt der Gesellschaft an solchen Projekten mit. Die Beteiligung unterschiedlicher Gruppen an Partizipationsprojekten kann man in einer Pyramidenform abbilden: oben ist die kleinste und engagierteste Gruppe, die oft gleichzeitig auch von dem jeweiligen Thema betroffen sind und sich daher engagieren. Dann wird es immer weniger, bis hin zur breiten Masse, die sich gar nicht oder – wenn überhaupt – nur zufällig beteiligt.
Bei der Einbeziehung der breiten Öffentlichkeit wollen wir das Angebot möglichst niedrigschwellig gestalten, sodass auch jemand mit wenig Vorwissen mitmachen kann. Also zum Beispiel jemand, der noch zur Schule geht und sich vielleicht nicht mit allen Fachwörtern zu Grillen, Quallen und Salzpflanzen auskennt. Wir versuchen, die Inhalte visuell darzustellen, damit die Teilnehmenden damit etwas anfangen können. Außerdem vermeiden wir es, das Mitmachexperiment zu textlastig zu gestalten. Lange Texte schrecken nicht nur bei Zeitungsartikeln viele ab, sondern auch, wenn es um solche Thematiken geht.

Die Forschungsthemen werden für das food4future-Mitmachexperiment visuell aufbereitet um das Partizipationsangebot niederschwellig zu gestalten.
Illustration: headland für das food4future-Partizipationsprojekt/FU Berlin

Natürlich könnte man auch sagen, dass die Leute sich mit dem Thema beschäftigen müssen, wenn sie teilhaben wollen, aber das ist – nicht nur aus meiner persönlichen Perspektive, diese Meinung ist auch in der Partizipationsforschung verbreitet – ein zu elitärer Ansatz. Das funktioniert vielleicht, wenn es um eine Fach- bzw. Expert*innenöffentlichkeit geht, aber nicht, wenn man vielen Leuten eine Stimme geben will, um ein möglichst breites Stimmungsbild zu bekommen. Und gerade das braucht man, wenn es um die Zukunft der Ernährung und von Nahrung geht. Es hilft nicht, wenn man nur einem kleinen Teil, der sich stundenlang in ein Thema einlesen kann, die Möglichkeit gibt, sich partizipativ zu beteiligen.
Und schließlich soll die Partizipation online stattfinden, was sich gerade jetzt in der Corona-Krise bezahlt macht. So gibt man Menschen die Möglichkeit, sich von überall aus zu beteiligen und berücksichtigt nicht nur diejenigen, die sowieso schon sehr engagiert und interessiert sind und die Möglichkeit haben, irgendwo hin zu fahren um an einem Workshop teilzunehmen. Das heißt, das Angebot soll niedrigschwellig, einfach zugänglich, visuell ansprechend und ein bisschen „entertaining“ sein.

Was verstehen Sie unter den verschiedenen Zeithorizonten, die Sie in Ihrem Projekt betrachten?

Ich beschäftige mich mit Zukunftsforschung aus verschiedenen Perspektiven, mit verschiedenen parallel laufenden zeitlichen Ebenen. foo4future selbst schaut relativ weit in die Zukunft. Wir fragen uns, wie 2050 aussehen könnte. Das ist also die langfristige Perspektive. Da geht es um Resilienz um eine gute Vorbereitung auf verschiedene – möglicherweise auch extreme – zukünftige Entwicklungen.
Die andere Perspektive betrachtet kürzere Zeithorizonte: kurzfristige Zwischenziele, die das Konsortium durch die aktuellen Forschungsarbeiten erreichen will. Ich schaue mir also einerseits die Auswirkungen auf den kurzfristigen Zeithorizont an – also auf die tatsächlichen nächsten Schritte in den Forschungsvorhaben. Andererseits betrachte ich die Auswirkungen auf die übergeordnete Strategieplanung, die wir mit food4future verfolgen.

Was erwartet die Teilnehmenden beim Mitmach-Experiment?

Die Teilnehmenden erwarten viele visuelle Aufbereitungen und sie können sich und ihre Vorstellungen einbringen. Sie bekommen einen Einblick in ein Projekt mit einem sehr langfristigen Horizont bis 2050 oder länger. D. h. sie erfahren etwas darüber, wie man über solche Zukünfte nachdenken kann, was ich besonders spannend finde. Und vielleicht finden das auch andere spannend. Und am Ende erhalten die Teilnehmenden eine kleine Auswertung, wie sie selbst im Vergleich zu anderen geantwortet hat.

Myriam Preiss erklärt, warum Du beim food4future-Mitmachexperiment teilnehmen solltest.

Was passiert mit den Ergebnissen des Mitmachexperiments?

Einerseits sollen sie in die Weiterentwicklung der Forschungsagenda von food4future mit einfließen. Gleichzeitig möchte ich aber mit meiner Forschung herausfinden bzw. ein besseres Verständnis dafür entwickeln, welcher Voraussetzungen es bedarf, damit Partizipation funktioniert und damit diese in Forschungsverbünden ankommt. Daher ist eine zentrale Frage: was fangen die Forschenden mit den Ergebnissen an, wie reagieren sie darauf und wie wird dieser Input von außen genutzt. Neben dem Partizipationsprojekt wird vom Innovationsmanagement der FU Berlin noch ein zweites Projekt in food4future bearbeitet. Dieses hat vor allem die langfristige Forschungsstrategieentwicklung von food4future zum Ziel. Auch dieser Prozess soll mit meinen Forschungsergebnissen aus dem Mitmachexperiment gefüttert werden – wo Stimmen aus der Öffentlichkeit gesammelt werden und bestenfalls gut genutzt werden.

Welche Herausforderungen ergeben sich aus der Aufgabe, die Aufnahme der Impulse der Öffentlichkeit im food4future Konsortium zu analysieren?

Da die Aufnahme im Konsortium eines der Forschungsobjekte ist, steht auch das Konsortium, beziehungsweise seine Forschungsstrategie, im Fokus. Ich erforsche dabei aber nicht meine Partner*innen aus dem Konsortium. Sie sind nicht meine Laborkaninchen, bei denen ich gucke, wie sie reagieren, wenn ich ihnen diese oder jene Information gebe. Das Ziel ist, zu untersuchen, wie Impulse und Ideen von außen genutzt werden. Es geht dabei um die Innen-Wahrnehmung des Prozesses. Natürlich muss man da auch Aufklärungsarbeit leisten, aber da die Partner*innen mich schon relativ lange kennen, gehe ich davon aus, dass das gut funktioniert.

Gibt es bei food4future Besonderheiten bezüglich der Partizipation von Öffentlichkeit?

Das Besondere in food4future ist natürlich Thema: wir beschäftigen uns mit Forschung zu Innovationen im Bereich Nahrung und Nahrungsmittelproduktion. Daher ist auch die Forschungsagenda sehr nah an der Lebenswirklichkeit bzw. an zukünftigen Lebenswirklichkeiten der Menschen, vor allem, was die Produktion von Lebensmitteln angeht. Ob die food4future-Vision jetzt wirklich die Zukünfte sein werden, in denen wir dann in 50 Jahren leben, das ist dabei eine ganz andere Frage. Aber es bringt diese Zukunftsüberlegungen ganz, ganz nah an die Menschen heran, weshalb hier die Beteiligung durch Öffentlichkeiten besonders vielversprechend ist. Essen betrifft uns alle, so dass es alle Bevölkerungsgruppen anspricht. Andererseits macht vor allem die langfristige Perspektive auf das Thema das Projekt schon ziemlich einzigartig.

Im Mitmach-Experiment ist die Meinung der Teilnehmenden zu den food4future-Forschungsthemen gefragt.
Illustration: Screenshot des Mitmachexperiments, Computer: rawpixel.com via freepik.com

Warum braucht es Zukunfts- und Innovationsforschung und gibt es Vorurteile gegenüber Ihrem Forschungsgebiet?

Das klassische Vorurteil gegenüber Zukunftsforscher*innen ist, dass man vielleicht irgendwo im Geheimen eine Glaskugel versteckt hat – habe ich nicht! Allgemein schauen wir uns Zukünfte an und nicht die eine Zukunft, die mit Sicherheit und hundertprozentig so eintreten wird. Zukünfte existieren in der Gegenwart bereits als Vorstellungen oder werden entwickelt. Das gilt auch für Zukünfte, die vielleicht in eine ungewünschte Richtung gehen und die einer „Korrektur“ in der Gegenwart bedürfen.
Es gibt eine starke Tendenz – vor allem, wenn es um technische Innovationen geht – diese ohne den Menschen im Zentrum zu denken. Es gibt einen wunderbaren Image-Film zu selbstfahrenden Autos, in dem Menschen nur als gesichtslose Schemen irgendwo am Rand auftauchen. So ein Zukunftsbild ist sicherlich interessant, löst aber auch etwas in den Köpfen der Menschen aus: das fahrende Auto als Zentrum und der Mensch als Staffage drum herum. Und genau das wollen wir in food4future nicht tun, sondern wir wollen gerade die zur Verfügung stehenden Partizipationsmöglichkeiten nutzen und dadurch robustere Zukunftsbilder erstellen.

Wie genau passt Ihre Partizipationsforschung zu Innovationsmanagement und Zukunftsforschung?

Partizipation ist für sich genommen nicht per se Teil der Innovationsforschung. Aber Partizipation in Forschung und Wissenschaft oder bei der Entwicklung von Innovationen kann durchaus als Teil des Innovationsprozesses angesehen werden. In der Innovationsforschung gibt es Ansätze, die sich mit Open Innovation beschäftigen, d. h. sich mit der Frage befassen, wie der Innovationsprozess geöffnet werden kann und Verbrauchende oder Zulieferer oder andere Stakeholder-Gruppen einbeziehen kann. 
In food4future setzen wir hier im Rahmen der Zukunftsforschung noch einen Schritt davor an, bereits in der Forschung und Entwicklung und untersuchen, wie man andere Gruppen partizipativ einbeziehen kann. So ist es viel früher möglich, Ideen zu berücksichtigen oder Entwicklungsrichtungen noch einmal zu korrigieren. 
Letztendlich ist auch das food4future-Projekt partizipativ entstanden. Wir haben uns mit vielen Partnern zusammengeschlossen um partizipativ ein Ziel –  eine Vision – für food4future zu entwickeln. Und allein durch die Kooperation von inter- und transdisziplinären Partnern mit ihren verschiedenen Sichtweisen hat schon dafür gesorgt, dass wir eine Forschungsagenda entwickelt haben, die viele Perspektiven vereint. Ich glaube, dass das nur reicher und besser werden kann, wenn man noch andere Perspektiven mit einbezieht.

Vielen Dank für das Gespräch
Das Interview führte J. Vogt, IGZ
 
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